Der erste Blick trügt

So saß der Falke dort aber ohne auch nur einen Mucks zu machen, während die Maus nicht wagte, auch nur einen Atemzug hören zu lassen. Irgendwann aber bekam sie keine Luft mehr und schnappte japsend danach. Erschöpft und beängstigt blickte sie erneut hinauf zu dem großen, von Federn überdecktem Tier. „ Ist der groß, und soo schön!“, dachte sich die kleine, graue Maus bei sich, „ und ich, ich bin nur eine hässliche, buschige Maus.“ Ihre Angst war verflogen und nun war sie nur noch traurig. Ihr Japsen verwandelte sich in ein Schluchzen und ihre kleinen Tränchen kullerten auf den Erdboden und bildeten sich zu einer kleinen Pfütze. Da plötzlich spürte sie etwas an ihrem hängenden, flauschigen Kopf. Bevor sie sich umdrehen konnte, wurde sie sanft hochgehoben. „ Hey, aber…“ Vor Ihrem Gesicht erschienen nun große Augen, viel größer als ihre. „ was, was ist los?“ Der Falke legte den Kopf schief und schaute ganz friedlich. Seine Stimme war lieb und etwas trollig. Erneut schniefte die kleine Maus. „ Ach weißt du, du bist so ein schöner Falke und überhaupt, schau dich mal um, überall so schöne Tiere und Pflanzen! Und ich, ich bin nur eine hässliche, graue Maus. Und mein Schwanz, der ist ganz puschig, nicht elegant.“ Wieder kullerten zahlreiche Tränen über die Wange der Maus und mit einem „Plop“ landeten sie auf dem Boden. „Aber Maus! Was redest du da?“, antwortete der Falke und wischte mit einer Feder die Tränen weg. Du bist wunderschön! Schau mich an, ich bin ein alter Falke, mit grauslichem Schnabel und zu großen Augen!“ Erschrocken schaute die Maus ihn an. Bevor sie aber erwidern konnte trat plötzlich ein Reh vor die beiden. „ Hässlich, sagt ihr?! Schaut mich an, ich bin hässlich, ihr seid wunderschön! Ich mit meinen zu dünnen Beinen und dem langweiligen, braunen Fell!“ Ein Rascheln und plötzlich stand ein Hase bei der Gruppe. „ Das kann ich mir ja nicht mehr anhören! Hässlich?! Das ich nicht lache! Schaut meine langen Ohren und die großen Zähne an! Hässlich, das bin ich, und sonst niemand!“ „ Ihr Verrückten!“ drang er hervor und ehe jemand der vier sich nach der Stimme umgedreht hatte, fing die Schlange, die bekannteste des Waldes an zu erzählen. „ Ich, ich bin vielleicht berühmt aber schön, das bin ich nicht; das sind nur die anderen, sowie ihr. Mein Körper, so lang und Rank. Ist das schön?! Sagt es mir?! Nein ist es nicht!“ „Doch!“, schrie da die kleine Maus und alle anderen die neben ihr standen erschraken, denn sie schrie so laut wie noch nie. „Wir sind alle wunderschön, du Falke, du Reh, auch du Hase und du Schlange und wisst ihr was?“ sie befreite sich aus dem liebevollen Griff des Vogels und hopste auf den Boden. „Sogar ich bin wunderschön!“ Und sie drehte sich im Kreis und dabei kam die Sonne wieder hervor und schließlich tanzten alle Tiere gemeinsam auf der Lichtung, während die Vögel ein schönes Lied sangen. Spät am Abend kehrte die Maus nach Hause zurück; müde und erschöpft legte sie sich in ihr kuschelweiches Bett- mit einem Lächeln auf dem Gesicht, denn sie wusste; sie war wunderschön; genau wie alle anderen im Walde.